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Neue EU-Maschinenverordnung und ihre Bedeutung für Technische Dokumentation

Die sogenannte Maschinenrichtlinie 2006/42/EG bildet einen Rechtsrahmen für das Inverkehrbringen von Maschinen auf dem Binnenmarkt und soll ein hohes Maß an Sicherheit und Gesundheitsschutz für Anwender:innen gewährleisten. Nun wurde diese Richtlinie von der EU-Kommission überarbeitet und am 21. April 2021 ein neuer Vorschlag veröffentlicht.

Der vorgeschlagene Rechtsakt ist eine Verordnung und keine Richtlinie mehr. Damit möchte die Kommission den administrativen Aufwand vereinfachen und die Umsetzung beschleunigen. Nach der Zustimmung der Mitgliedsstaaten wird die neue Maschinenverordnung sofort in Kraft treten, ohne dass die geänderten Vorschriften erst aufwändig in nationales Recht umgesetzt werden müssen. Nach der Einführung der Maschinenverordnung wird den Herstellern eine 30-monatige Übergangsfrist eingeräumt, um die nötigen Anpassungen vorzunehmen. Die alte Maschinenrichtlinie wird also schätzungsweise bis 2025 in Kraft bleiben.

Upd. vom 27.07.2023: Die neue Verordnung ist am 19.07.2023 in Kraft getreten. Die Übergangsfrist für die Umsetzung läuft bis zum 20.01.2027.
Veröffentlichter Text der EU-Verordnung ist hier nachzulesen.

Gründe für die Überarbeitung

Der wichtigste Grund für die Erarbeitung eines neuen Vorschlags waren erhebliche Fortschritte in Digitalisierung, Automatisierung und Vernetzung, die in den letzten 15 Jahren im Maschinenbau zu verzeichnen sind. Die neue Maschinenverordnung soll in Einklang mit den bereits aktualisierten Vorschriften sowie mit den künftigen Verordnungen über künstliche Intelligenz und Cybersicherheit gebracht werden. Zusammen sollen diese Rechtsakte zum digitalen Wandel in der EU beitragen.

In ihrem Vorschlag unterstreicht die EU-Kommission, dass Maschinenbau eines der industriellen Standbeine der europäischen Wirtschaft ist, somit hat die Aktualisierung der geltenden Rechtsvorschriften auf der EU-Ebene eine hohe Priorität. Die neue Maschinenverordnung soll die bestehenden Lücken schließen und vor allem die neuen Risiken abdecken, die sich aus den aufstrebenden Technologien ergeben. Dazu zählen kollaborative Roboter (Cobots), Internet der Dinge, KI-Systeme und insbesondere maschinelles Lernen, Software zur Maschinensteuerung sowie sensorgestützte, ferngesteuerte oder autonome Systeme. Um dieser stetig steigenden Komplexität Rechnung zu tragen, wird die Bezeichnung „Maschine“ im Text der Verordnung durch „Maschinen oder dazugehörige Produkte“ ersetzt.

Explizit werden im Vorschlag der EU-Kommission die „monetären und ökologischen Kosten durch umfangreiche papierbasierte Dokumentation“ als einer der Beweggründe genannt. Angesichts der zunehmenden Digitalisierung ist die bisherige Anforderung, eine gedruckte Version der Betriebsanleitung zur Verfügung zu stellen, nicht mehr zeitgemäß. Die neue Maschinenverordnung soll helfen, die hohen Kosten, den Verwaltungsaufwand und die negativen Folgen für die Umwelt zu reduzieren. Dabei sollen ebenfalls die Situationen berücksichtigt werden, wenn die Anwender:innen weniger technisch versiert sind oder kein Internetzugang vorhanden ist.

Welche Neuerungen bietet die neue EU-Maschinenverordnung zum Thema Dokumentation?

Betriebsanleitung

Die wesentliche Änderung in diesem Abschnitt betrifft die Bereitstellung der Betriebsanleitung. Diese kann nun in digitaler Form mitgeliefert werden. Auf Kundenwunsch muss der Hersteller jedoch die Unterlagen in Papierform kostenlos zur Verfügung stellen. Für die fortschrittlichen Hersteller, die bereits auf modernere Arten der Technischen Dokumentation im digitalen Format umgestiegen sind, heißt das, dass sie weiterhin eine ausdruckbare Version vorhalten müssen. Dies könnte einen doppelten Aufwand für die Hersteller bedeuten. Werden die Inhalte allerdings in einem Redaktionssystem erstellt und verwaltet, kann man dank Single-Source-Publishing problemlos eine PDF- bzw. Word-Datei auf Knopfdruck erstellen und diese dann ausdrucken.

Handelt es sich beim Maschinenprodukt um eine Maschine oder Anlage, die speziell für den Kunden angefertigt wurde, ist eine nachträgliche Einreichung der Papieranleitung sicherlich kein Problem, vor allem dann nicht, wenn Kunde und Hersteller im direkten Kontakt miteinander stehen. Bei Massenprodukten, die zum Beispiel über Zwischenhändler vertrieben werden, sieht die Sache schon anders aus. Hier wäre der nachträgliche Ausdruck der Betriebsanleitung nach Kundenwunsch mit einem erheblichen administrativen Aufwand verbunden, deshalb werden die Hersteller vermutlich ihren Produkten weiterhin eine ausführliche Dokumentation in Papierform beilegen und das ursprüngliche Problem der Ressourcenverschwendung würde nach wie vor bestehen bleiben.

Upd. vom 27.07.2023: Bei Maschinen und dazugehörigen Produkten, die für nichtprofessionelle Nutzer:innen bestimmt sind bzw. in die Hände von nichtprofessionellen Nutzer:innen gelangen können, müssen die sicherheitsrelevanten Informationen immer in Papierform vorliegen.

Die Betriebsanleitung, die Sicherheitsinformationen und die technischen Unterlagen müssen „in einer vom betreffenden Mitgliedstaat festgelegten, für die Nutzer leicht verständlichen Sprache abgefasst und müssen klar, verständlich und lesbar sein“.

Bereitstellung der Betriebsanleitung

Wird die Betriebsanleitung in digitaler Form bereitgestellt, so muss der Hersteller:

(a) auf dem Maschinenprodukt und in einem Begleitpapier angeben, wie auf die digitalen Anweisungen zugegriffen werden kann;

(b) klar beschreiben, welche Version der Betriebsanleitung dem Maschinenproduktmodell entspricht;

(c) diese in einem Format bereitstellen, das es dem Endverwender ermöglicht, die Anweisungen herunterzuladen und sie auf einem elektronischen Gerät zu speichern, sodass er jederzeit, insbesondere bei einem Ausfall der Maschine, darauf zugreifen kann. Diese Anforderung gilt auch für ein Maschinenprodukt, bei dem die Bedienungsanleitung in die Software des Maschinenprodukts eingebettet ist.

Wie bereits in der Maschinenrichtlinie definiert, dürfen die „Verkaufsprospekte, in denen das Maschinenprodukt beschrieben wird, in Bezug auf die Sicherheits- und Gesundheitsschutzaspekte nicht der Betriebsanleitung widersprechen“. Da die Verkaufsprospekte in der Regel von der Marketingabteilung bzw. einem externen Dienstleister geschrieben werden, wird dadurch eine enge Abstimmung mit der Technischen Redaktion notwendig – sowohl bei der Erstellung der Texte, als auch bei deren Übersetzung.

Inhalte der technischen Unterlagen

Die Anforderungen an den Inhalt der Betriebsanleitung sind weitestgehend gleich geblieben. Das bedeutet solche Mindestangaben wie Firmenname und vollständige Anschrift des Herstellers, Bezeichnung des Maschinenprodukts, EU-Konformitätserklärung, allgemeine Beschreibung des Maschinenprodukts, Beschreibung der bestimmungsgemäßen Verwendung des Maschinenprodukts, Warnhinweise, Montageanleitungen, Zeichnungen, Schaltpläne und viele weitere Informationen.

Die Liste der erforderlichen technischen Unterlagen für Maschinenprodukte wurde jedoch um zwei Punkte erweitert:

(n) der Quellcode oder die programmierte logische Schaltung der sicherheitsrelevanten Software zum Nachweis der Konformität des Maschinenprodukts mit dieser Verordnung […];

(o) bei sensorgestützten, ferngesteuerten oder autonomen Maschinenprodukten, wenn der sicherheitsrelevante Betrieb durch Sensordaten gesteuert wird, gegebenenfalls eine Beschreibung der allgemeinen Merkmale, Fähigkeiten und Einschränkungen des verwendeten Systems, der Daten, der Entwicklungs-, Test- und Validierungsverfahren, unbeschadet der Anforderungen an Systeme der künstlichen Intelligenz (KI) gemäß der Verordnung (EU)…/… des Europäischen Parlaments und des Rates, sofern die sicherheitsbezogene Software ein KI-System umfasst.

Diese Neuerungen resultieren aus dem eingangs beschriebenen primären Ziel der EU-Kommission, die überarbeitete Maschinenverordnung fit für die neuen Technologien zu machen. Aus praktikabler Sicht bedeutet es, dass die bestehenden Betriebsanleitungen durch neue Kapitel ergänzt und gegebenenfalls zur Übersetzung freigegeben werden müssen. Spätestens dann müssen sich die Fachübersetzer:innen mit solchen (eventuell für sie bisher unbekannten) Themen befassen wie Softwarelokalisierung, künstliche Intelligenz, vernetzte Systeme, kollaborative Roboter usw. Das ist ein weiteres sehr spannendes Feld für stetige Weiterbildung.

Noch ein Aspekt, der nach dem Inkrafttreten der neuen Verordnung während der Aktualisierung der bestehenden Technischen Dokumentation berücksichtigt werden muss, ist die geänderte Nummerierung der einzelnen Anhänge und Artikel. Sind in der eigenen Dokumentation Verweise auf die alte Maschinenrichtlinie vorhanden, so müssen diese ebenfalls überprüft und angepasst werden. Viel Arbeit steht also an für Technische Redakteur:innen und Übersetzer:innen. Wir freuen uns.

* Zitate in Kursivschrift stammen aus dem Dokument „ANHÄNGE des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über Maschinenprodukte“ vom 21.04.2021, nachzulesen hier.

Foto Olga Scharfenberg-Dmitrieva

Zur Autorin:

Dipl.-Ing. (FH) Olga Scharfenberg-Dmitrieva arbeitet seit über 23 Jahren als selbständige Fachübersetzerin mit Schwerpunkt Technik und Arbeitssprachen Deutsch, Englisch und Russisch. Als ausgebildete Technische Redakteurin ist sie eine Expertin im Bereich der Technischen Dokumentation und bietet hier ein Komplettpaket an Sprachdienstleistungen, inklusive Übersetzungsmanagement.

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