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Alltag einer Technikübersetzerin – Interview mit Jessica Link

In unserer Reihe „Alltag einer Technikübersetzerin“ werfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Kernteams von Translators4Industry. Elisabete Costa, Olga Scharfenberg-Dmitrieva, Jessica Link und Nicole Maina erzählen aus ihrem Berufsalltag und berichten über ihre Tätigkeitsfelder Fachübersetzung, Technische Dokumentation, Terminologiearbeit, Projektmanagement, Dolmetschen, Revision und Marketing für ihre Kund:innen aus der Industrieautomation.

Heute spricht Olga Scharfenberg-Dmitrieva mit Jessica Link. Jessica wohnt in Hamburg. In ihren Sprachenpaaren Englisch-Deutsch und Italienisch-Deutsch erstellt sie Fachübersetzungen für die Bereiche Elektrotechnik, Automation, Logistik und Aufzugstechnik, vorzugsweise in der Kombination mit ihrem zweiten Fachgebiet Recht.

Jessica amArbeitsplatz

Olga: Wie bist Du zum Übersetzen gekommen?

Jessica: Wie so viele in meiner Branche habe ich mich, seit ich denken kann, für Fremdsprachen interessiert. Dennoch war die Entscheidung für das Studium der Allgemeinen Sprach- und Kulturwissenschaft mit Schwerpunkt Übersetzen und Dolmetschen nicht meine erste Wahl. Unter anderem habe ich auch mit Rechtswissenschaften und Psychologie geliebäugelt. Im Rahmen der Studienberatung hat sich aber schnell herauskristallisiert, dass ich ein Studium suche, dass mir auch praktische Aspekte vermittelt. So bin ich auf das heutige FTSK in Germersheim der Johannes Gutenberg-Universität Mainz gestoßen und war von der Beschreibung des damaligen Diplom-Studiengangs sofort überzeugt.

Die Wahl der zu studierenden Sprachen fiel dann leicht: Englisch fand ich schon immer gut und Italienisch war aufgrund meiner Familiengeschichte die logische zweite Wahl. Ich bin zwar nicht zweisprachig aufgewachsen, aber mütterlicherseits kommt meine Familie ursprünglich aus Norditalien. Deshalb hatte ich schon als kleines Kind den Wunsch, diese Sprache zu lernen, und sah im Studium die Chance, genau das zu tun. Man kann also sagen, dass ich den klassischen Weg zum Übersetzen gefunden habe: mit dem Diplom-Studiengang „Allgemeine Sprach- und Kulturwissenschaft“. Nach rund fünf Jahren und einem Auslandssemester in Italien hielt ich dann meinen Abschluss als Diplom-Übersetzerin für die Sprachen Englisch und Italienisch mit den Nebenfächern Verhandlungsdolmetschen und Recht in der Hand.

Olga: Hast Du schon immer freiberuflich gearbeitet?

Jessica: Die kurze Antwort lautet nein. Die lange Antwort: Nachdem ich mein Studium beendet habe, wollte ich zuerst nur weg aus Deutschland und etwas Neues erleben und ausprobieren. Wie das Leben so spielt, kam auch ich aus meinem Auslandssemester in Italien mit einem Partner zurück. Deshalb ging es nach dem Studium erstmal wieder nach Italien, genauer gesagt nach Udine. Einer der ersten Punkte auf meiner Agenda dort war die Jobsuche. Dabei beschränkte ich mich nicht explizit auf Stellen für Übersetzer:innen, da solche Stellen vor rund 14 Jahren noch recht jäh gesät waren. Doch wie es der Zufall manchmal will, wurde in einer Stellenanzeige in der Umgebung von Udine nach einem:r Übersetzer:in für Englisch und Deutsch gesucht. Ich bewarb mich, führte ein langes und intensives Vorstellungsgespräch und hatte knapp eine Woche später meinen Arbeitsvertrag.

Die ersten beiden Jahre nach meinem Abschluss arbeitete ich also als Übersetzerin und Dolmetscherin bei einem großen Zulieferer für die Stahlindustrie. Ich war die hauptverantwortliche Übersetzerin für zwei Großprojekte in Deutschland und auf meinem Tisch landete alles, was mit diesen Projekten zu tun hatte: technische Zeichnungen und Datenblätter, Arbeitsverträge, Lieferbedingungen, Protokolle, aber auch Patente, allgemeine Geschäftsbedingungen, Verträge im Allgemeinen. Die Fachgebiete waren vielfältig und reichten von Recht, Chemie, Mechanik und Metallbau über Schweißverfahren bis hin zur Automatisierung, Elektrotechnik und Industrieautomation. Ich möchte diese zwei Jahre nicht missen, weil ich eng in die Projekte eingebunden war und mit eigenen Augen sehen konnte, wie Walz- und Stranggussanlagen Stück für Stück entstanden. Meine tollen Kolleg:innen – überwiegend Ingenieur:innen und Techniker:innen – wurden auch nicht müde, meine anfangs vielen Fragen zu beantworten.

Meine Einsätze als Dolmetscherin bei den jeweiligen Inbetriebnahmen in Deutschland rundeten die praktischen Erfahrungen ab. Es war eine aufregende spannende Zeit, in der ich mir viel technisches Grundwissen aneignen konnte, und sie bildete den Grundstein für meine heutige Spezialisierung auf Elektrotechnik, Energietechnik, Automatisierungstechnik und Robotik. Nach zwei Jahren waren die beiden Großprojekte abgeschlossen und ich wollte mich neu aufstellen in der Selbstständigkeit.

Foto von Jessica

Olga: Welche Dienstleistungen bietest Du an?

Jessica: Ich biete Übersetzungen, Korrekturlesen und Lektorat, aber auch Terminologiearbeit in meinen Arbeitssprachen Englisch, Italienisch und Deutsch an. Meine Fachgebiete sind hauptsächlich Elektrotechnik, Energietechnik, Automatisierungstechnik und Robotik, Logistik, Batterietechnik, sowie Mess-, Steuerungs- und Regelungstechnik. Am liebsten übersetze ich kreative Marketingtexte in diesen Bereichen oder rechtslastige Texte, bei denen mir mein zweites Fachgebiet Recht zugutekommt.

Olga: Weshalb hast Du Dich auf die Fachgebiete Technik und Recht spezialisiert? Auf den ersten Blick haben diese Bereiche nicht viel miteinander zu tun.

Jessica: Auf den ersten Blick vielleicht nicht, aber beim genaueren Hinsehen durchaus schon. Recht habe ich im Nebenfach studiert und Technik kam eben durch meine Festanstellung hinzu. Ich finde beide Bereiche sehr spannend und jeder Bereich ist auf seine Weise herausfordernd. Gerade im Fachgebiet Recht gibt es immer Überschneidungen mit anderen Themenbereichen wie Technik, weil Recht im weitesten Sinne unseren Alltag regelt.

Wenn ich zum Beispiel Ausschreibungsunterlagen zu Hochspannungsfreileitungen übersetze, ist ein großer Teil der Dokumentation rechtslastig, denn Gewährleistungen, Haftungen, die Bedingungen für die Ausschreibung müssen aus juristischer Sicht geregelt werden. Auf der anderen Seite muss man auch technisches Fachwissen zu Hochspannungsfreileitungen mitbringen, um die Dokumentation korrekt übersetzen zu können. Ich mag es, dass ich meine Leidenschaft für die Rechtswissenschaft und technische Innovationen in einem Beruf miteinander kombinieren kann. Mein Interesse für die Juristerei findet auch in meinem Ehrenamt als Schöffin Ausdruck, dem ich seit 2019 nachgehe.

Olga: Wie bildest Du Dich weiter?

Jessica: Zum einen versuche ich, durch Newsletter und Fachzeitschriften wie zum Beispiel „technische kommunikation“ von der tekom immer auf dem aktuellen Stand zu bleiben. Zum anderen gehört der Besuch von Messen, egal ob live vor Ort oder virtuell, für mich genauso dazu wie die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen.

Ich freue mich schon auf die Zeit nach der Pandemie, wenn man technische Innovationen wieder vor Ort ansehen und ausprobieren kann, zum Beispiel auf der Hannover Messe. Der direkte Austausch und das Gespräch mit Akteur:innen aus der Industrie fehlt mir schon sehr. Online-Formate können das meiner Meinung nach nur begrenzt ersetzen.

Karabinerhaken Hannover Messe

Olga: Du lebst in Deutschland. Wie pflegst Du Deine Arbeitssprachen Englisch und Italienisch?

Jessica: Nach meinem Studium lebte ich fast neun Jahre in Italien, bevor ich wieder nach Deutschland zog. Italienisch war somit für eine sehr lange Zeit die vorwiegende Sprache in meinem Alltag. Auch heute noch habe ich Kontakt zu meinen Freund:innen dort. Die Sprache kommt also regelmäßig zum Einsatz. Bei Englisch sehe ich alle Filme und Serien in Originalsprache an. Darüber hinaus lese ich gerne und viel in meinen Arbeitssprachen. In Nicht-Pandemiezeiten bin ich oft in Italien und im englischsprachigen Ausland. So stelle ich sicher, dass mein Englisch und Italienisch nicht einschlafen. Gerade bei Übersetzungen im Bereich Marketing muss man aus sprachlicher Sicht am Puls der Zeit bleiben.

Olga: Wie sieht ein typischer Arbeitstag bei Dir aus?

Jessica: Nach dem Aufstehen gehe ich als Erstes mit unserem Hund raus. Die halbe Stunde am Morgen an der frischen Luft egal bei welchem Wetter ist der beste Start in den Tag. Danach versorge ich meine Büroassistenten Tommaso (Hund) und Luna (Katze), frühstücke und mache mich fertig. Mein Arbeitstag fängt in der Regel gegen 9 Uhr an. Zuerst schaue ich bei einem guten Espresso in die Nachrichten, um zu erfahren, was in der Welt passiert ist, und anschließend prüfe ich meine E-Mails, die nach Priorität sortiert und entsprechend beantwortet werden. Dann schaue ich in unserem Netzwerk vorbei und prüfe, ob es Besprechungsbedarf oder Fragen in unserem Team Translators4Industry gibt.

Was danach kommt, kann von Tag zu Tag unterschiedlich sein. In der Regel erwartet mich eine Mischung aus Übersetzungen und Revisionen. Ich beantworte Anfragen, erstelle Angebote oder habe Meetings mit Kund:innen. Gegen Mittag mache ich eine Pause, die oft mit einer Yoga-Session beginnt, um dem langen Sitzen bei unserer Tätigkeit entgegenzuwirken. Dann esse ich einen kleinen Snack und arbeite weiter, bis mein Partner nach Hause kommt. Wir machen eine gemeinsame Kaffeepause. Auf den Nachmittag lege ich meistens administrative Tätigkeiten wie Buchhaltung und Aufgaben für unser Netzwerk. Endgültig Feierabend ist dann, wenn meine To-Do-Liste für den jeweiligen Tag erledigt ist. Das ist meistens gegen 18 Uhr. Dann wird der Computer ausgeschaltet.

Jessicas Büroassistenten
Fleißige Büroassistenten

Olga: Was machst Du zum Ausgleich?

Jessica: Die täglichen Gassirunden am Morgen und am Abend mit unserem Hund helfen mir abzuschalten und nebenbei bewege ich mich so regelmäßig jeden Tag. Außerdem versuche ich mindestens dreimal die Woche Yoga zu praktizieren. Auch wenn ich bereits tagsüber sehr viel lese, mag ich es, abends bei einem guten Buch und netter Musik zu entspannen. Mitten in der Pandemie vor einem Jahr habe ich mir das Häkeln beigebracht und mittlerweile viele kleine und große Projekte abgeschlossen. Gerade Häkeln bildet einen guten Kontrast zum Beruf, weil ich etwas mit den Händen schaffe und nicht mit dem Kopf.

Ich bin absolut fußballbegeistert und gehe zu allen Heimspielen des FC St. Pauli, in dem ich auch Mitglied bin. An Heimspieltagen engagiere ich mich für den Verein ehrenamtlich als Volunteer, das ist so etwas wie ein Infopoint für Fans auf zwei Beinen vor dem Stadion.

Ehrenamt bei FC St. Pauli

Darüber hinaus gehe ich meinem verpflichtenden Ehrenamt als Schöffin am Strafgericht sehr gerne nach. Ein Vollstudium der Rechtswissenschaften war durchaus, wie oben bereits erwähnt, eine Option bei der Studienwahl, und als Schöffin kann ich mein Interesse für die Juristerei ein Stück weit ausleben. Urteile über Menschen zu fällen ist alles andere als einfach, ganz egal wie die Umstände sind. Manche Verfahren und Schicksale wirken auch mehrere Wochen nach. Man sieht das eigene Leben und das Glück, das einem bislang widerfuhr, aus einem ganz neuen Blickwinkel. Nicht selten komme ich aus einer Verhandlung und fühle mich einfach nur dankbar und demütig.

Und was für eine Übersetzerin wäre ich, wenn ich in meiner Freizeit zum Spaß nicht auch noch weitere Sprachen lernen würde? (Anm. d. Red.: lacht) Bei mir ist das Isländisch. Nach meinem Abitur habe ich ein Jahr lang auf einem Bauernhof auf Island gelebt und Kühe gemolken. In der Zeit habe ich Grundkenntnisse der isländischen Sprache erworben und diese im Laufe der Zeit immer wieder aufgefrischt. Island ist ein faszinierendes Land. Ein bisschen vermisse ich die langen und dunklen Wintertage, die Polarlichter, das Leben am Fjord und die raue ungebändigte Natur. Ich sage immer, dass Island meine erste große Liebe war. Die vorerst letzte Reise dorthin war für 2020 geplant, musste aber pandemiebedingt leider verschoben werden.

Seit ein paar Jahren fahre ich mit Sack und Pack im Januar oder Februar nach Föhr. Das raue Wetter und die Nordsee im Winter erinnern mich an Island. Am Strand bei -11 Grad spazieren zu gehen, hat schon was und die Sonnenuntergänge im Winter sind einfach atemberaubend schön. Der Wind pustet den Kopf frei. Für mich ist das immer der perfekte Start ins neue Jahr.

Jessica auf Föhr

Olga: Vielen Dank, Jessica, für dieses aufschlussreiche Gespräch über den Alltag einer Technikübersetzerin für die Industrieautomation!