Translators4Industry

Blog von Translators4Industry

Hier bloggt unser Team über relevante Themen in der Welt von Übersetzungen und Automatisierungstechnik.

Alltag einer Technikübersetzerin – Interview mit Nicole Maina

In unserer Reihe „Alltag einer Technikübersetzerin“ werfen wir einen Blick hinter die Kulissen des Kernteams von Translators4Industry. Elisabete Costa, Olga Scharfenberg-Dmitrieva, Jessica Link und Nicole Maina erzählen aus ihrem Berufsalltag und berichten über ihre Tätigkeitsfelder Fachübersetzung, Technische Dokumentation, Terminologiearbeit, Projektmanagement, Dolmetschen, Revision und Marketing für ihre Kund:innen aus der Industrieautomation.

Heute spricht Elisabete Costa mit Nicole Maina. Nicole wohnt in Pecetto Torinese bei Turin und ist unsere Expertin für Italienisch. Sie ist eine erfahrene Fachübersetzerin und UNI-11591:2015-zertifizierte Konferenzdolmetscherin für Italienisch und Deutsch. Ihr Steckenpferd ist der Automobilsektor und ihre Fachgebiete sind Werkzeugmaschinen, Roboter, Automation, Aufzüge und alles, was im Entferntesten mit Technik zu tun hat. Als Konferenzdolmetscherin hat sie sich neben Technik auf die Bereiche Europapolitik, Gewerkschaftsarbeit, Natur und Umwelt (insbesondere in Bezug auf den Alpenraum) spezialisiert.

Nicole Maina im Büro
Nicole in ihrem Büro in Pecetto Torinese bei Turin

Elisabete: Was machst Du lieber, dolmetschen oder übersetzen?

Nicole: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich mag beides und könnte mich nicht nur für einen der beiden Berufe entscheiden. Wenn ich in meinem Büro sitze und tagelang ein Handbuch übersetze, recherchiere, lese und telefoniere, genieße ich die Ruhe sowie die Tatsache, dass ich meine Zeit frei einteilen kann. Mein Büro befindet sich direkt unter meiner Wohnung, also kann ich jederzeit nach Hause gehen. Ich stöbere in technischen Unterlagen, wälze meine Wörterbücher, vergleiche Termini, trinke allein meinen Caffè, gehe – wenn ich will – mitten am Tag zum Sport und sehe meine Kinder, wenn sie aus der Schule kommen. Nach längerer Zeit wird es aber eintönig und ich werde unruhig.

Beim Dolmetschen spielen immer viel Adrenalin und Stress mit. Die Vorbereitung auf einen Dolmetscheinsatz ist sehr anspruchsvoll: Die Unterlagen kommen oft in letzter Minute und man muss sich in kürzester Zeit tief in eine (ggf. neue) Thematik einarbeiten. Dazu kommen die Strapazen mit der Reiseplanung: Mal ist es nur der Zug nach Mailand oder eine Autofahrt in die Schweiz, manchmal aber auch ein Flug nach Frankfurt oder München, mit anschließender Bahn- und Autofahrt samt Hotelbuchungen usw.

Dann kommt der Einsatz, das Zusammensein mit den Kund:innen, den Kolleg:innen, dem Publikum. Begleitet vom leichten, aber stets bemerkbaren Lampenfieber, bevor ich das Mikrofon einschalte, das rote Licht angeht und die Zuhörer meine Stimme hören können. Dann geht es richtig los. Ich bin voll und ganz auf das Dolmetschen konzentriert. Meine gesamte Energie fließt in das Zuhören, Einprägen, Übersetzen, Sprechen. Eventuell mache ich Notizen auf ein Blatt Papier. Nach 20–25 Minuten wird gewechselt. Dann kann ich kurz durchatmen, etwas trinken, die Unterlagen noch einmal anschauen, für meine Kollegin Fachbegriffe recherchieren sowie Zahlen, Namen oder Begriffe auf einen Notizblock schreiben. Anschließend bin ich wieder an der Reihe und so geht es den ganzen Tag. Am Abend sind wir beide völlig erschöpft, aber zufrieden.

Nicole in der Kabine beim Simultandolmetschen
Nicole in der Kabine beim Simultandolmetschen

Es handelt sich also um zwei ganz unterschiedliche Berufe und Tagesabläufe. Simultandolmetschen ist meine Leidenschaft und ich würde niemals darauf verzichten. Es ist jedoch körperlich und mental sehr anstrengend und kostet mich auf Dauer sehr viel Kraft. Im Anschluss fällt man manchmal sogar in ein kleines Loch und muss sich erst Mal erholen.

Deshalb ist die Abwechslung für mich ideal: Wenn ich von einer Konferenz zurückkomme, freue ich mich wieder auf das Übersetzen in meinem Büro, und umgekehrt. Ich liebe beide Jobs und könnte mich nie nur fürs Übersetzen oder nur fürs Dolmetschen entscheiden. Die Mischung macht’s!

Elisabete: Dolmetschen bedeutet aber nicht nur, auf einer Konferenz in der Kabine zu sitzen, und simultan zu arbeiten. Was machst Du noch als Dolmetscherin?

Nicole: Es gibt tatsächlich viele verschiedene Einsatzarten und Situationen. In den letzten vier bis fünf Jahren habe ich beispielsweise oft gemeinsam mit italienischen Immobilienmakler:innen deutsche Kundschaft durch unsere wunderschönen Täler hier im Piemont geführt. Wir haben alte, steinerne Berghütten besichtigt und mit den Verkäufer:innen die Verträge durchgesprochen. In solchen Fällen begleite ich meine Kundinnen und Kunden später auch zum Notartermin, um den Vertrag zu unterzeichnen.

Kürzlich kam der deutsche Botschafter aus Rom mit einer Delegation für einen offiziellen Besuch nach Turin und ich habe zusammen mit einer Kollegin zwei Tage lang für die Gruppe gedolmetscht: bei einer technischen Besprechung über Fahrzeugbau, Gießereien, Wasserstoffherstellung und erneuerbare Energien, während der Besichtigung des Palazzo Reale und des Heiligen Grabtuchs Christi im Turiner Dom, bei der Verhandlung mit der Piemontesischen Regierung, während der anschließenden Pressekonferenz sowie beim Abendessen im Sternerestaurant (bei dem ich leider kaum etwas von dem köstlichen Essen zu mir nehmen konnte!). Ein sehr anspruchsvoller Einsatz mit vielen sehr unterschiedlichen Themen.

Ich dolmetsche auch auf Schulungen, die aus theoretischen und praktischen Teilen bestehen können. So kann es zum Beispiel während einer Ausbildung über pneumatische Bremssysteme für Güterzüge vorkommen, dass ich mit Warnweste und Sicherheitsschuhen in einer Grube unter einem Waggon stehe und konsekutiv übersetze, während die Techniker erklären und testen. Sehr oft sind es auch Schulungen über Dreh- oder Schleifmaschinen, wo buchstäblich Späne fliegen – das freut mich dann besonders. (Anm. d. Red.: grinst)

Es muss jedoch nicht immer Technik sein. In Turin findet jedes Jahr die wichtigste italienische Buchmesse statt und dort darf ich manchmal deutschsprachigen Autor:innen meine Stimme leihen.

Nicole beim Dolmetschen auf der Buchmesse
Nicole beim Dolmetschen auf der Buchmesse

Eines meiner wichtigsten Einsatzgebiete ist die Zusammenarbeit mit Arbeitgebern und Gewerkschaften bei der Übernahme von Unternehmen, bei Streitigkeiten oder bei Sitzungen des Europäischen Betriebsrats. Diese Einsätze können sehr anspruchsvoll sein, weil es sich um Arbeitsrecht handelt und über Menschenschicksale entschieden wird. Andererseits sind diese Einsätze auch sehr erfüllend, weil ich einen wichtigen Beitrag zur Verständigung leiste.

Elisabete: Was waren bisher Deine merk- oder denkwürdigsten Einsätze?

Nicole: Einmal musste ich in Österreich für den Launch eines neuen Automodells mit einer Seilbahn auf 2.300 m Höhe fahren und dort die Pressekonferenz simultan dolmetschen. Es war mitten im Sommer, aber trotzdem ziemlich kalt – dafür war die Aussicht natürlich unbezahlbar. Ein anderes Mal traf ich meinen Kunden am Frejus-Tunnel (zwischen Italien und Frankreich), um über digitale Systeme für die Erfassung von Autobahngebühren zu sprechen. Zum Teil musste ich dolmetschen, während neben uns der ohrenbetäubende Verkehr vorbeifuhr.

Etwas glamouröser war ein Interview mit einer berühmten Fußballer-Ehefrau, die von einem großen deutschen TV-Sender einen Tag lang überallhin begleitet wurde: zum Einkaufen, zum Training, zum Kinderabholen oder zum Friseur.

Abenteuerlich – aber sehr unterhaltsam – waren einige Einsätze auf der Rennstrecke, bei denen ich die Fahrer begleiten durfte, um Anweisungen via Funk zu übersetzen. Nach der 50. Runde musste ich aussteigen, bevor mir übel wurde. Ein unvergesslicher Einsatz!

BMW Training Day
Nicole beim BMW Training Day

Elisabete: Dein Fachbereich und persönliches Lieblingsgebiet ist Technik. Wie kam es eigentlich zu Deiner Leidenschaft für Autos, Mechanik, spanende Bearbeitung & Co.?

Nicole: Das Faible für Technik wurde mir wahrscheinlich in die Wiege gelegt. Ungefähr zu dem Zeitpunkt, an dem meine Eltern einen Marco erwartet hatten und keine Nicole. So das Gerücht, aber tatsächlich hatte sich vor allem mein Vater nach der ersten Tochter sehnlichst einen Sohn gewünscht. Gepaart mit meiner Veranlagung für Technik und meiner Neugierde führte dies dazu, dass ich ziemlich früh mit ihm zusammen in seinem Bastelkeller stand und dabei half, verschiedene Dinge zu reparieren. Ich durfte auch mal Sachen zerlegen, um zu sehen, wie sie funktionieren, und ihm dabei zusehen, wie er Öl wechselte oder ein Ersatzteil für sein Auto baute. Ich stellte Fragen, er antwortete und ließ mich auch mit anpacken. Prägend in meiner Kindheit waren der Geruch von Zweikomponentenkleber, Flexstaub und Schweißrauch sowie blecherner Lärm.

Mein Vater ist von Beruf Feinblechner und hat sein ganzes Leben Autokarosserien mit der Hand – sprich mit Hammer und Meißel – geklopft. Nach einer langen Laufbahn bei BMW in München und weiteren Unternehmen des Automobilsektors in Turin machte er sich selbständig und klopft auch heute noch mit 79 Jahren Karosserieteile für Oldtimer. Oft sind es Mercedes-Benz-Modelle aus den 1960er Jahren.

Nicole mit ihrem Vater in der Werkstatt
Nicole mit ihrem Vater Carlo Maina auf der Auto Moto Retrò in Turin 2015

Von ihm habe ich nicht nur gelernt, wie die einzelnen Karosseriebauteile heißen, sondern auch wie ein Scheibenwischer, eine Kupplung, ein Zweitakter oder ein Wagenheber funktionieren. Da war der Funke übergesprungen. Später nach meinem Studium habe ich in einer Firma gearbeitet, die Karosseriebauteile entwickelte und herstellte, und so meine Kenntnisse auf viele andere Gebiete rund um die Automobilwelt ausgeweitet.

In den letzten 17 Jahren als freiberufliche Übersetzerin habe ich mich neben dem Fahrzeugbau auf Werkzeugmaschinen, Automation und Robotik spezialisiert. Die Antwort auf die Frage „Wie funktioniert das?“ interessiert mich auch heute noch brennend!

Nicole mit der Karosserie eines Mercedes-Benz 300 SLR Flügeltürers und ihr Vater im Hintergrund

Elisabete: Was machst Du gerne in Deiner Freizeit?

Nicole: Wir leben in der Nähe der Großstadt Turin, aber in einer ländlichen Gegend. Mein Mann betreibt gemeinsam mit seinem Bruder einen Hof, züchtet Schweine für Parmaschinken und Rinder der besonderen Piemontesischen Gattung Fassona. Wir wohnen auf dem Hof (wo sich auch mein Büro befindet) und rund um unser Haus werden Getreide und vor allem sehr viele Kirschen angebaut. Wir pflanzen eigenes Gemüse und haben einen großen Obstgarten. Bei so vielen hochwertigen und frischen Zutaten, die mir zur Verfügung stehen, stelle ich mich in meiner Freizeit gerne an den Herd und experimentiere nach Herzenslust mit besonderen Techniken oder Rezepten. Ich kann definitiv sagen: Meine Lieblingshobbys sind Kochen und Essen! Seitdem es wieder möglich ist, laden wir oft viele Freunde zu uns ein und organisieren Abendessen mit zahllosen Gängen – meistens aus Piemontesischen Gerichten. Außerdem macht es mir großen Spaß, mit meinen beiden Kindern zu backen oder die Tiere auf dem Hof zu betreuen.

Die Kirschen aus Pecetto sind unser ganzer Stolz. Mein Mann hat letztes Jahr gemeinsam mit seinem Bruder den Guinness-Weltrekord der größten Kirsche der Welt aufgestellt. Sogar im Ausland wurde darüber berichtet. Leider überschneidet sich die Erntezeit der Kirschen mit der Hochsaison meiner Konferenzen, deshalb habe ich meistens keine Zeit, auszuhelfen. Dafür nutze ich gerne restlich gebliebene Kirschen, um Konfitüre, Sirup oder Schwarzwälder Kirschtorte herzustellen.

Elisabete: Du steckst viel Zeit in Weiterbildung und in ehrenamtliche Verbandsarbeit. Warum ist Dir das so wichtig?

Nicole: Das klingt jetzt vielleicht abgedroschen, aber Weiterbildung ist wirklich äußerst wichtig für mich. Als ich mich 2005 selbständig machte, war für mich sofort klar, dass ständige Fortbildung das A und O für jeden professionellen Übersetzer und Dolmetscher ist. Ich höre von manchen Kolleginnen und Kollegen, dass sie Weiterbildung als überflüssig oder gar lästig empfinden: Bei mir ist es das Gegenteil. Ich bin neugierig, möchte ständig neue Dinge lernen und würde am liebsten jede Woche einen Kurs in einem meiner Fachbereiche belegen, um sie weiter zu vertiefen. Wenn es nach mir ginge, würde ich lieber die Schulbank drücken als arbeiten! Es ist ein tolles Gefühl, wenn man später beruflich mit dem Thema konfrontiert wird, die neuen Kompetenzen nutzen kann und genau versteht, wovon die Rede ist. Leider ist die Zeit immer knapp und ich schaffe nicht mehr als 6 bis 7 Weiterbildungen pro Jahr.

Vor einigen Jahren habe ich die Initiative ergriffen und selbst ein Seminar über Kundenakquise auf Messen für Kolleg:innen gehalten. Damals für meinen Verband AITI. Daraus hat sich ein Workshop entwickelt, den ich mehrmals für verschiedene Übersetzer- und Dolmetscherverbände in Italien und Deutschland halten durfte. Das letzte Mal war im November 2019 auf der BDÜ-Konferenz in Bonn, vor einem Saal mit über 150 Menschen. Das war trotz langer Erfahrung als Dolmetscherin auf der Bühne eine große Herausforderung für mich.

Nicoles Vortrag beim BDÜ-Kongress
Nicoles Vortrag beim BDÜ-Kongress

Ich bin Mitglied in drei Verbänden: AITI, dem italienischen Übersetzer- und Dolmetscherverband, BDÜ, dem Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer, und Assointerpreti, dem italienischen Verband der professionellen Konferenzdolmetscher. Das kollegiale Verbandsleben und die ehrenamtliche Verbandsarbeit bedeuten mir sehr viel. In den letzten 15 Jahren habe ich stets ein Amt in einem oder mehreren Verbänden innegehabt und sehr lange an der Organisation von Weiterbildungsmaßnahmen mitgewirkt.

Elisabete: Vielen Dank, Nicole, für dieses aufschlussreiche Gespräch über den Alltag einer Konferenzdolmetscherin und Technikübersetzerin für die Industrieautomation!